Österreichs Wahlberechtigte müssen erneut über das höchste Amt im Staat abstimmen. Das Urteil zur Wiederholung der Bundespräsidentenstichwahl bedeutet einen Etappensieg der Rechten
Am ersten Oktoberwochenende findet die Wiederholung der Bundespräsidenten-Stichwahl statt – sofern diese nicht erneut wegen Problemen mit den Wahlkarten verschoben wird.* Das Urteil des Verfassungsgerichtshofs, dass die Abstimmung erneut ausgetragen werden muss, war für die österreichische Rechte, allen voran die FPÖ, ein Etappensieg. Bereits die knappe Niederlage für den FPÖ-Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer gegen den ehemaligen Bundessprecher der Grünen, Alexander Van der Bellen, half den Rechten, ihr Image als „Volkspartei“ auszubauen. Die Nachfolgepartei des Nazi-Sammelbeckens VdU ist keine Kleinpartei mehr, sondern liegt in aktuellen Umfragen vor SPÖ und ÖVP, deren Politik sie in vielen Bereichen bereits indirekt mitbestimmt.
Einen Hinweis auf das aktuelle WählerInnenpotenzial der Rechten gibt die erste Runde der Präsidentschaftswahlen, bei denen Hofer 35,05 Prozent erreichte. Alexander Van der Bellen kam am 24. April auf 21,34 Prozent. Die anderen Kandidat-Innen – darunter auch Rudolf Hundstorfer für die SPÖ und Andreas Khol für die ÖVP – blieben weit abgeschlagen. Die Stichwahl am 22. Mai konnte schließlich Van der Bellen knapp für sich entscheiden. Das Kopf-an-Kopf-Rennen – Van der Bellen kam letztlich auf 50,35 Prozent, Hofer auf 49,65 – hatte viele überrascht. Bis zuletzt wollten viele Menschen in Österreich nicht wahrhaben, dass knapp die Hälfte der Wahlberechtigten sich für den Kandidaten der Rechten entscheiden könnte.
Krisenhafte Entwicklung
Dabei hatte es sich schon länger abgezeichnet. Die Umfragewerte der „großen“ Koalition befinden sich seit anderthalb Jahren im Sinkflug, jene der FPÖ steigen. Grund ist die von vielen ÖsterreicherInnen als krisenhaft empfundene Entwicklung der vergangenen Jahre. Zur wirtschaftlichen Unsicherheit in Form von steigender Arbeitslosigkeit, stagnierenden Löhnen und immer größerem Konkurrenzdruck kam seit Sommer vergangenen Jahres das Gefühl, die Regierung könne oder wolle drängende Probleme nicht lösen. Wochenlang wurde damals ignoriert, dass mit der Flüchtlingsbewegung eine Herausforderung entsteht, die entschlossener, humaner und sozial vernünftiger Lösungen bedarf. Die Regierung zog es vor, zunächst überhaupt nicht zu reagieren und die Notversorgung der Flüchtlinge Freiwilligen zu überlassen.
Aber auch für die längerfristige Lösung – also die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen einerseits, diplomatische Vorstöße zur Lösung jener Krisen, die Flucht verursachen andererseits – gab es seitens der österreichischen Regierung wenig bis gar keine Ansätze. Stattdessen überließ man den Hetzern das Feld. Und obwohl die tausenden HelferInnen im vergangenen Herbst bewiesen hatten, dass durch Engagement und Selbstorganisation schier Unglaubliches möglich ist und riesige Aufgaben bewältigt werden können, gelang es damals dennoch nicht, die Stimmung längerfristig positiv zu beeinflussen. Allzu schnell übernahmen wieder jene die Meinungshoheit in sozialen Netzwerken und in der österreichischen Tagespolitik, deren Geschäft es ist, Menschen – und insbesondere die Schwächsten – gegeneinander auszuspielen.
FPÖ schürt Misstrauen
Die Anfechtung der Bundespräsidenten-Stichwahl war ein Schachzug der FPÖ, um einerseits das Misstrauen vieler Menschen in das politische System weiter zu schüren und andererseits ihrem Kandidaten eine zweite Chance zu ermöglichen. Dass dies aufgegangen ist, überraschte viele Beobachter. Das Urteil des Verfassungsgerichts wurde seither von vielen prominenten Rechtsexperten kritisiert. Der Jurist Alfred J. Noll etwa sagte im Kurier, dass das Urteil dem Wortlaut der Verfassung widerspreche, da eine Wahlwiederholung nur vorgesehen sei, wenn allfällige Rechtswidrigkeiten bei einer Wahl Einfluss auf das Ergebnis hatten. Letzteres war aber nicht der Fall. Der Verfassungsgerichtshof hatte ausdrücklich festgestellt, dass es keine Hinweise auf Manipulationen gebe. Die Aufhebung war nur wegen Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung der Briefwahlstimmen erfolgt; zudem kritisierte das Gericht die seit Jahren übliche Praxis der Weitergabe von Ergebnissen an Medien noch vor Wahlschluss.
Zu Beginn des neuerlichen Wahlkampfs für die Stichwahlwiederholung Ende August meldete sich der Verfassungsjurist Heinz Mayr noch einmal zum VfGH-Urteil zu Wort. Das Gericht habe in seinem Erkenntnis in einem zentralen Punkt geirrt, so Mayr im Falter. Ähnlich wie Noll argumentiert Mayr, dass es laut Verfassung nicht auf die Möglichkeit eines Einflusses von Unregelmäßigkeiten auf das Wahlergebnis ankomme, sondern darauf, ob es wahrscheinlich sei, dass so ein Einfluss gegeben war. Eine Neuauszählung der Briefwahlstimmen wäre eine angemessene Reaktion auf die bekanntgewordenen Unregelmäßigkeiten gewesen. Das Verfassungsgericht habe mit seinem Urteil „den Boden der Verfassung verlassen“, so Mayr.
Herausforderung für AntifaschistInnen
Die neue Stichwahl im Oktober wird jedenfalls eine Herausforderung für alle AntifaschistInnen hierzulande. Erneut gilt es, möglichst viele Wahlberechtigte zu mobilisieren, um zu verhindern, dass ein Vertreter der äußersten Rechten das höchste Amt der Republik übernimmt. Der einzig mögliche Weg, dies zu tun – die Wahl Alexander Van der Bellens – ist aber für viele keine Herzensangelegenheit. Zu oft hat Van der Bellen in der Vergangenheit und nicht zuletzt während des Bundespräsidentschaftswahlkampfs bewiesen, dass er dem Erfolg der Rechten nichts entgegenzusetzen vermag. Dem bürgerlichen Grünen fehlt das Verständnis für die Ursachen des derzeitigen Höhenflugs der FPÖ. Statt Existenzängste jener ernst zu nehmen, die durch die Liberalisierung des Arbeitsmarktes ständig größerem Druck ausgesetzt sind, setzt Van der Bellen auf elitäre Schlagworte, um sein Bekenntnis zur Europäischen Union auszudrücken. Statt die Gefahr einer Regierungsübernahme der Rechten für die gerade von der FPÖ stets zitierten „kleinen Leute“ deutlich zu machen, sorgt sich Van der Bellen um das „Ansehen“ Österreichs.
Und dennoch: ein Sieg Hofers wäre eine Katastrophe. Damit könnte sich die FPÖ endgültig als „normale“ Partei inszenieren und ihre asoziale und rassistische Politik verstärkt umsetzen. Die jüngsten Entscheidungen im Burgenland oder in Oberösterreich haben einmal mehr gezeigt, dass die „Freiheitlichen“ jede Machtbeteiligung eifrig nutzen, um bei der weiteren Demontage des Sozialstaats mitzuwirken.
Bei der Stichwahl gilt es, Hofer als Bundespräsident zu verhindern. Längerfristig gilt es, antifaschistische Politik wieder auf die Tagesordnung zu setzen und insbesondere die sozialen Ursachen für die Rechtsentwicklung in Österreich und anderen Ländern zu thematisieren. Ein erster Schritt hierfür soll die vom KZ-Verband/VdA ausgerichtete Antifa-Konferenz am 1. Oktober in Wien sein. Auf dieser werden grundsätzliche Auseinandersetzungen mit dem Thema Faschismus neben der Debatte über aktuelle Entwicklungen und künftige Strategien stehen.
Text aus: der neue Mahnruf 3/2016
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*mittlerweile ist genau dies eingetreten und die BP-Wahl findet nun am 4. Dezember 2016 statt.