Rechte Aufbauarbeit

Die österreichische Neonaziszene und das Ende der DDR.

Dass nach dem Mauerfall 1989 und der Eingliederung Ostdeutschlands in die BRD 1990 die Gewalt von Rechts auf dem Gebiet der (ehemaligen) DDR rasant zunahm, wird bis heute gerne der DDR selbst angelastet. „Autoritäre Sozialisation“, „stalinistisches Erbe“ und „mangelnde Aufarbeitung der Vergangenheit“ lauten die Schlagworte, mit denen etwa jüngst in den NSU-Untersuchungsausschüssen „sachverständige“ Historiker wie Konrad Weiß oder Klaus Schroeder die Herausbildung militanter Strukturen Anfang der 90er-Jahre zu erklären versuchten.

Dabei waren es insbesondere westdeutsche und österreichische Gruppierungen, die nach 1989 massive Aufbauhilfe im Bereich des organisierten Neonazismus leisteten. Bis zu diesem Zeitpunkt bestand die extreme Rechte im Osten aus kaum vernetzten, ideologisch ungefestigten und lokalen Bekanntschaftskreisen, die weder Publikations- noch (legale) Aktionsmöglichkeiten hatten. Das MfS berichtete noch 1988 von exakt 1.067 der Szene zuordenbaren Personen, wobei das Vorgehen gegen rechte Gewalttäter Ende der 80er nach einem brutalen Überfall auf ein Punk-Konzert in der Berliner Zionskirche noch einmal deutlich verschärft wurde. Die Möglichkeit, sich betätigen zu können, sahen viele ostdeutsche Neonazis nur im Westen. Gelegenheit dazu bot etwa das Häftlingsfreikaufprogramm der BRD, von dem unter anderem Robert Dannenberg (später Kader bei der „Deutschen Alternative“) oder Axel Heinzmann (ging zur „Wehrsportgruppe Hoffmann“) profitierten. Andere begingen Republikflucht, so noch drei Tage vor dem Mauerfall Ingo Hasselbach, der später als Kontaktmann für die „Nationale Alternative“ fungierte.

Neonazi-Reisen
Mit der offenen Grenze und der zunehmenden Handlungsunfähigkeit der Sicherheitskräfte änderte sich die Situation schlagartig. Einreiseverbote gegen bekannte Neonazis konnten nicht mehr durchgesetzt werden, und so gelangten Michael Kühnen, einer der bedeutendsten Neonazis der BRD, wie auch der österreichische Gründer der „Volkstreuen außerparlamentarischen Opposition“ (VAPO), Gottfried Küssel, schon bald in die DDR. Im Gegensatz zu den ostdeutschen „Kameraden“ verfügten sie über jahrelange Erfahrung in halblegaler und konspirativer Arbeit; sie hatten vor allem aber Routine darin, sich medial zu inszenieren. Anfangs relativ uninteressierte Behörden in der BRD und Österreich und die Auflösung des MfS ermöglichten es diversen Gruppen, Fuß zu fassen und die Straßen ganzer Stadtteile zu dominieren.

Küssels VAPO, die eng mit Kühnen zusammenarbeitete, organisierte den Ordnungsdienst in dem von Neonazis besetzten Haus in der Weitlingstraße 122 in Berlin-Lichtenberg. Mit dabei hatten die Österreicher neben kiloweise Propagandamaterial auch Schusswaffen. Die von der VAPO organisierten Wehrsportübungen im Raum Langenlois in Niederösterreich wurden ab 1990 auch vermehrt von ostdeutschen Neonazis besucht.

Rechte Strukturen
Auch auf ideologischer und publizistischer Ebene waren Österreicher wie Gerd Honsik (organisierte das Rahmenprogramm einer Veranstaltung mit Holocaust-Leugner David Irving), Jürgen Hatzenbichler oder Andreas Thierry stark an der Festigung neonazistischer Strukturen in der (ehemaligen) DDR beteiligt. Denn auf eine über weitgehend unbehelligte frühere NSDAP-Mitglieder, Publikationen, einschlägige Veranstaltungen und Organisationen getragene Traditionslinie zum historischen Nationalsozialismus konnten lediglich die Neonazis aus dem Westen zurückgreifen; über schlichte Parolen und Feindbilder hinausreichende NS-Ideologie musste nach Jahrzehnten staatlicher antifaschistischer Praxis in der DDR zu einem gewissen Grad überhaupt erst wieder in den Osten exportiert werden.

1991, nach dem Tod Kühnens, wurde Küssel neben Christian Worch (heute bei der Partei „Die Rechte“ aktiv) und Arnulf Wolfgang Priem (ebenfalls ein in die BRD „freigekaufter“ Rechter, der in westdeutschen Wehrsportgruppen aktiv wurde) zum wichtigsten Kopf des von Kühnen aufgebauten Organisationsgeflechts rund um „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“, „Deutsche Alternative“ und „Nationale Alternative“.

Allein diese personell stark verflochtenen Gruppierungen hatten Ende 1990 über 1.000 Mitglieder. Tatsächlich genuine DDR-Gründungen von neofaschistischen Organisationen waren – ebenso wie bei den extrem rechten Parteien – nicht erfolgreich. Der Fokus der Agitation von Parteien wie NPD und Republikaner wie auch der neonazistischen Kleingruppierungen richtete sich immer stärker auf Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot, wobei diese Probleme vor allem den aus dem Ausland stammenden Arbeitskräften und Flüchtlingen zugeschoben wurden. Was folgte, waren Brandanschläge und pogromartige Ausschreitungen wie in Hoyerswerda und Rostock; 1992 gab es bereits über 2.000 Gewalt- und Straftaten mit extrem rechtem Hintergrund. (StI)

Text aus: der neue Mahnruf 3/2015
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