Neuauflage der Erinnerungen von Vinzenz Böröcz erschienen
Neben den Memoiren des ersten (gewählten) sozialdemokratischen Landeshauptmannes des Burgenlandes, Hans Bögl („Burgenland. Ein Bericht zur Zeitgeschichte“, Wien 1974) sind jene von Vinzenz Böröcz, langjähriger Funktionär des burgenländischen KZ-Verbands, die einzigen publizierten Erinnerungen eines burgenländischen Spitzenpolitikers aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Allein aus diesem Grund können sie als eine zeitgeschichtliche Quelle ersten Ranges bezeichnet werden. Kaum eine zeitgeschichtliche Publikation zum Burgenland kommt ohne Verweis auf sie aus.
Die im Jahr 1995, kurz nach dem Tod von Böröcz, im Wiener Globus-Verlag erschienene erste Auflage ist jedoch seit Jahren vergriffen, sodass dieses nach wie vor stark nachgefragte Werk die längste Zeit nur noch antiquarisch erworben werden konnte. Dieser Zustand wurde vom Ottakringer Arbeiterbildungsverein, dem burgenländischen KZ-Verband und nicht zuletzt von Vinzenz Böröcz‘ Sohn Bruno als unhaltbar angesehen. Dank großzügiger Förderung des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus und namhafter Unterstützung durch die Stadtgemeinde Eisenstadt, dem burgenländischen Landesfonds für die Opfer des Krieges und Faschismus, dem Landtagsklub der KPÖ Steiermark sowie dem Bundesverband des österreichischen KZ-Verbands konnte das Projekt einer Neuauflage der Erinnerungen von Vinzenz Böröcz unter Verantwortung des Ottakringer Arbeiterbildungsvereins und des burgenländischen KZ-Verbands nunmehr zu einem gütlichen Ende gebracht werden.
Vinzenz Böröcz, geboren 1915, entstammte als Sohn einer nordburgenländischen Landarbeiterfamilie ärmlichsten Verhältnissen. Zunächst in der Sozialistischen Arbeiter-Jugend (SAJ) organisiert, trat er nach dem Februar 1934 der Kommunistischen Partei Österreich (KPÖ) bei, der er bis zu seinem Tod im Jahr 1994 angehören sollte. 1935 und 1938 wurde er aus politischen Gründen verhaftet. Nach Gestapo-Haft und Verurteilung zu 16 Monaten Zuchthaus erfolgte im Jahr 1943 seine Einziehung zur „Bewährungseinheit“ 999 der Deutschen Wehrmacht. Das Kriegsende erlebte er nach Einsätzen in Italien und während der Ardennen-Offensive in Norddeutschland.
Vinzenz Böröcz war zwischen 1948 und 1949 Mitglied der Arbeiterkammer im Burgenland und von 1946 bis 1981 Landesobmann der KPÖ. Zudem war er im September 1945 Delegierter bei der ersten Länderkonferenz in Wien und zwischen 1945 und 1950 Stadtrat in Eisenstadt. Zwischen dem 1. Oktober 1945 und dem 4. Jänner 1946 gehörte er der ersten provisorischen Landesregierung des Burgenlandes an, 1953 bis 1956 war er der einzige kommunistische Vertreter im Burgenländischen Landtag. Im Zentrum seiner gesamten politischen Tätigkeit stand der Kampf um eine demokratische Bodenreform im Burgenland zugunsten der burgenländischen Bevölkerung, eine Losung, die untrennbar mit dem Kampf gegen die Familie Esterházy als (nach wie vor) größtem privaten Grundeigentümer im Burgenland verbunden war.
Ab Mitte der 1980er Jahre widmete sich Böröcz zunehmend der Tätigkeit im burgenländischen KZ-Verband. Gemeinsam mit Stefan Billes (Bund Sozialistischer Freiheitskämpfer) und Wilhelm Gregorich (ÖVP-Kameradschaft der politisch Verfolgten) war er einer von drei Zeitzeugen, die an burgenländischen Schulen fundamentale Aufklärungsarbeit über die Verbrechen des NS-Regimes leisteten. Unbeirrt von einer massiven Kampagne der burgenländischen FPÖ gegen seine Person, sah es Vinzenz Böröcz als seine antifaschistisch-demokratische Verpflichtung an, die von ihm gemachten Erfahrungen mit der NS-Diktatur an nachfolgende Generationen weiterzugeben.
In seinen letzten beiden Lebensdekaden wurden die Leistungen von Vinzenz Böröcz auch vom politischen „Establishment“ in Österreich und im Burgenland anerkannt: Im Jahre 1975 wurde er aufgrund seiner Verdienste um die Wiedererrichtung des Burgenlandes mit dem Großen Ehrenzeichen des Landes Burgenland ausgezeichnet. Im Oktober 1977 erhielt er vom Bundespräsidenten das Ehrenzeichen für Verdienste um die Befreiung Österreichs verliehen. Nicht zuletzt zeichnete ihn im Jahr 1977 auch die burgenländische Landeshauptstadt Eisenstadt für seine Tätigkeiten als Stadtrat mit dem Verdienstkreuz der Stadtgemeinde Eisenstadt aus und ernannte ihn zu ihrem Ehrenbürger.
Im Folgenden dokumentieren wir die Rede im Wortlaut, die Vinzenz Böröcz am 11. September 1982 anlässlich des großen antifaschistischen Aktionstages in Eisenstadt hielt. Dieser Aktionstag wurde mit dem Ziel initiiert, ein Verbot der beiden neonazistischen Organisationen Nationaldemokratische Partei (NDP) sowie der Aktion Neue Rechte (ANR) zu erreichen. Angesichts der jüngsten politischen Entwicklungen in Österreich erscheinen die Worte von Böröcz aktueller denn je.
„Liebe Freunde! Antifaschisten!
Wenn wir uns hier zum Abschluß unseres unüberhörbaren und eindrucksvollen antifaschistischen Aktionstages, vor der Gedenkstätte für die Opfer des Widerstandes und der Verfolgung aus der Zeit der dunkelsten Geschichte Österreichs und des Burgenlandes, zu einer Kranzniederlegung zusammengefunden haben, so aus folgenden Gründen:
Erstens wollen wir damit unsere tiefe Verbundenheit mit allen Opfern des Faschismus, den politisch und rassisch Verfolgten aller Richtungen und Konfessionen, zum Ausdruck bringen.
Zweitens wollen wir hier vor diesem Mahmmal erneut unsere Entschlossenheit bekunden, alles zu tun, damit Faschismus und Terrorismus in unserem Lande nie wieder triumphieren können.
Wer hätte es für möglich gehalten, daß dreieinhalb Jahrzehnte nach dem unrühmlichen Ende des sogenannten ‚Dritten Reiches‘ und nach der Niederlage in dem vom Hitlerfaschismus angezettelten Zweiten Weltkrieg die Anhänger und Nachbeter der braunen Pest sich wieder legal formieren und ihr Unwesen treiben können?
Wer hätte es für möglich gehalten, daß ein in Österreich und in Italien verurteilter Terrorist, wie es der Hauptsprecher der neofaschistischen NDP, Norbert Burger, ist, bei der Bundespräsidentenwahl kandidieren darf und dabei mehr als 140.000 Stimmen auf sich vereinigen kann?
Aber die Neofaschisten haben sich nicht damit begnügt, daß sie, entgegen den Bestimmungen des Staatsvertrages und der Verfassungsbestimmungen, die jedwede neonazistische Betätigung verbieten, legal auftreten können.
Sie fühlen sich auch noch durch das Verhalten der Behörden ermutigt, die sogar die NDP-Provokationen polizeilich absicherten und schützten, während antifaschistische Kundgebungen untersagt wurden, wie das gerade auch hier in Eisenstadt vor einigen Monaten der Fall war. Die terroristischen Bombenanschläge, die in letzter Zeit verübt wurden, sowie die antisemitischen Flugblätter, die dabei hinterlassen worden sind, lassen keinen Zweifel darüber aufkommen, von welcher Richtung diese Aktivitäten kommen.
Die zahlreichen Beweise und Tatsachen, die dabei geliefert worden sind, zeigen eines klar: Die NDP Burgers und die neofaschistische ANR stellen in Wirklichkeit die legale Basis für den terroristischen Untergrund dar.
Trotzdem gibt es noch immer verantwortliche Politiker, die sich gegen ein Verbot neonazistischer Organisationen aussprechen und die es lieber sehen, wenn Neofaschisten bei den Wahlen kandidieren können, so wie das auch bei der Landtagswahl im Burgenland der Fall ist, wo die NDP im Wahlkreis 3, im Bezirk Oberwart, ihren Wahlvorschlag eingebracht hat.
Und das ist natürlich kein Zufall.
Als ehemalige Widerstandskämpfer wissen wir, daß es in diesem Bezirk schon vor 1938 von den Nazis verübte Fememorde gegeben hat, daß der Nazi-Gauleiter des Landes, trotz seiner Verurteilung als Kriegsverbrecher, nach wie vor in Rechnitz im Bezirk Oberwart im Kameradschaftsbund agiert, demselben Rechnitz, in dem noch knapp vor Kriegsende hunderte ungarische Juden ermordet wurden.
In Oberwart hat es aber auch die größten Opfer unter den politischen Gegnern der Nazi-Herrschaft gegeben, und die Hälfte der aus dem Burgenland stammenden ermordeten und vergasten Zigeuner war[en] in Oberwart beheimatet.
Das alles und gerade die Kandidatur der NDP in diesem Oberwarter Wahlkreis zeigt, daß man die neofaschistische Gefahr nicht unterschätzen darf. Es ist notwendig, den Anfängen zu wehren. Wir fordern daher heute die Einhaltung der antifaschistischen Verfassungsbestimmungen durch ein Verbot aller neofaschistischen Organisationen und ihrer Propaganda. Wir betrachten es aber auch als Erfolg, daß eine Kandidatur der NDP in drei burgenländischen Wahlkreisen verhindert werden konnte.
Aufklären und Verbieten – das ist es, was notwendig ist, um dem Faschismus wirksam entgegenzutreten.
Als wir uns in den Februar- und Märztagen des Jahres 1938 trotz vorheriger Verfolgung durch das Schuschnigg-Regime noch in letzter Minute zusammengefunden haben, um die braune Flut aufzuhalten, um Österreich vor dem Untergang zu retten, waren wir bereit, alles zurückzustellen und zu vergessen, was uns vorher bremste.
Die wichtigste Lehre, die wir aus dieser Niederlage zu ziehen hatten, war und ist: Man kann nicht früh genug und breit genug – und gemeinsam genug den Anfängen wehren und dem Faschismus den Weg versperren.
Alle Demokraten, ganz gleich, in welchem Lager sie stehen, ob Sozialisten, Christen oder Kommunisten, sind aufgerufen, das Vermächtnis der Widerstandskämpfer und Opfer des Faschismus zu erfüllen, das da lautet: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg. Dabei möchte ich auch sagen, daß die sogenannte Eisenstädter Erklärung der SPÖ im Widerspruch steht zu den Erfahrungen im Kampf für die Rettung Österreichs. Sie steht im Widerspruch zu den Erfahrungen der Sozialisten und Kommunisten in den Konzentrationslagern, in den Zuchthäusern und in den Bewährungseinheiten der deutsch-faschistischen Armee.
Jede Uneinigkeit der Demokraten der verschiedenen Lager hilft nur den Feinden der Demokratie. Und wer heute, nach all den Erfahrungen aus der leidvollen Geschichte unseres Landes, Kommunisten und aktive Antifaschisten mit dem Rechtsextremismus, mit den Neonazis und den Terroristen gleichstellt, der hilft, ob er es will oder nicht, der äußersten Reaktion.
Es ist ein erfreuliches Zeichen, daß angesichts der neofaschistischen Aktivitäten sich so viele junge Menschen zusammengefunden haben, um in den antifaschistischen Komitees zu wirken und zu kämpfen.
Es ist erfreulich, daß immer mehr Menschen für das Verbot der NDP und ANR eintreten.
Erfüllen wir das Vermächtnis der Widerstandskämpfer und Opfer des Faschismus, bekunden wir unseren unversöhnlichen Willen, den faschistischen Ungeist nie wieder aufkommen zu lassen. Vereinigen wir uns gemeinsam in dem Ruf:
Es lebe die Aktionseinheit aller Antifaschisten und Demokraten! Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!“
Text aus: der neue Mahnruf 1/2018
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