Als sich die austrofaschistische Bundesregierung am 11. März 1938 dem Druck Hitler-Deutschlands beugte und Bundeskanzler Kurt Schuschnigg mit den Worten „Gott schütze Österreich“ demissionierte, war dies das Signal zur Machtübernahme für die österreichischen Nationalsozialisten. Ob in Wien, Graz oder Linz – überall wehte bereits in der Nacht vom 11. auf den 12. März die Hakenkreuz-Fahne. Es sollte dies ein unheilvolles Zeichen für die kommenden Ereignisse werden. Am 12. März 1938 überschritten (schlecht vorbereitete) Einheiten der deutschen Wehrmacht schließlich die Grenze zu Österreich und marschierten in Österreich ein, ohne auf Widerstand seitens des österreichischen Bundesheeres zu stoßen. Damit war auch der militärische „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich vollzogen. Bereits am 13. März 1938 wurde das „Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ proklamiert, das im Nachhinein durch die von massiven Propaganda-, Einschüchterungs- und Terrormaßnahmen flankierte Volksabstimmung vom 10. April 1938 „legitimiert“ wurde.
Der „Anschluss“ markiert das endgültige Ende der Ersten Republik und damit des eigenständigen Staates Österreich. Zweifelsohne wurde diese Entwicklung von einem Gutteil der österreichischen Bevölkerung – aus ganz unterschiedlichen Motiven – begrüßt. Der begeisterte Empfang, der Hitler am 12. März auf seinem Weg nach Linz, der Stadt seiner Jugend, bereitet wurde, ließ ihn alle Pläne verwerfen, die auf eine langsame Eingliederung Österreichs in das nationalsozialistische Deutschland abgezielt hatten: Österreich sollte nach dem Willen Hitlers nunmehr sofort und vollständig Teil des Deutschen Reiches werden. Für viele ÖsterreicherInnen bedeutete dies den Beginn von Verfolgung, Vertreibung, Leiden und Tod. Zehntausende österreichische StaatsbürgerInnen, PatriotInnen und FreiheitskämpferInnen unterschiedlicher politischer Anschauungen und religiösen Bekenntnisses wurden unnachsichtig verfolgt, eingekerkert, zur Emigration gezwungen, in Konzentrationslager deportiert, von Sondergerichten abgeurteilt und ermordet. Durch die nationalsozialistischen Eroberungsfeldzüge im Zweiten Weltkrieg verloren hunderttausende österreichische Soldaten ihr Leben. Auf der anderen Seite waren österreichische Nationalsozialisten in den Reihen der deutschen Wehrmacht, von SS, SA und Gestapo für unvorstellbare Verbrechen – Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit bis hin zu Völkermord – verantwortlich.
Zu Kriegsende, am 27. April 1945, berief sich die wiedererrichtete Republik Österreich in ihrer „Unabhängigkeitserklärung“ auf die Moskauer Deklaration von 1943, derzufolge ein unabhängiges Österreich nach dem Sieg über den Nationalsozialismus wiederherzustellen sei. In dieser Deklaration wurde Österreich als das „erste freie Land, das der Hitlerschen Aggression zum Opfer gefallen ist“ bezeichnet, gleichzeitig aber auch die Verantwortung von Österreicherinnen und Österreichern an den Verbrechen des Nationalsozialismus eingemahnt. Dieser zweite Aspekt blieb in der österreichischen Zweiten Republik und der beginnenden Systemkonfrontation des kapitalistischen West- und kommunistischen Ostblocks gerne ausgeklammert. Die Leistungen österreichischer Widerstandskämpferinnen und -kämpfer an der Überwindung des Nationalsozialismus wurden von jenen, die es sich in den Jahren 1938 bis 1945 „gerichtet“ hatten, nur allzu gern vergessen. Erst in Folge der Waldheimdebatte 1986 setzte eine kontroverse öffentliche Diskussion um die sogenannte Opferthese und Österreichs Rolle 1938 und den Folgejahren ein.
Die heurige 80jährige Wiederkehr des „Anschlusses“ eröffnet den Rahmen für die intensive Auseinandersetzung mit dem Jahr 1938 und dem Nationalsozialismus. Buchenwald, Mauthausen oder Auschwitz firmieren ebenso wie der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion ab 1941 als stete Mahnung, die nichts von ihrer tagespolitischen Realität eingebüßt hat. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der jüngsten Enthüllungen rund um rechtsextreme Burschenschaften in Österreich erscheint der Kampf für Demokratie, Frieden und Freiheit in Österreich und der Welt als kollektive Verantwortung all jener, für die „Niemals vergessen!“ mehr ist als eine billige Losung in Wahlkampfzeiten. Gerade der spöttische Applaus, den die Mordtaten des faschistischen Hitler-Regimes auch noch in der Gegenwart erfahren, offenbart ein Ausmaß an Menschenverachtung, dem sich das antifaschistisch-demokratische Österreich entschieden entgegenstellen muss.
Wir dokumentieren an dieser Stelle den Aufruf des Zentralkommitees der KPÖ aus dem Prager Exil:
Volk von Österreich! An alle Völker Europas und der Welt!
Hitler hat mit militärischer Gewalt Österreich unter sein Joch gebracht. Hitler ist dabei, den Freiheitswillen des österreichischen Volkes durch die Stiefel seiner Soldateska niederzutreten. Er ist daran, in Österreich seine Fremdherrschaft aufzurichten. Drei Tage vor dem Volksentscheid, nach dem seine Agenten jahrelang riefen, hat er losgeschlagen, aus Angst vor dem Willen des österreichischen Volkes, aus Angst vor dem Ergebnis der Volksabstimmung, die mit dem Bekenntnis der überwältigenden Mehrheit zur Freiheit und Unabhängigkeit geendet hätte, aus Angst vor der Niederlage, die er am 13. erlebt hätte.
Berchtesgaden hatte den Widerstand des Volkes verhundertfacht. Alle Kräfte des Volkes begannen sich zu vereinigen zur Verteidigung der Heimat gegen die Barbarei des Faschismus.
Gegen diese geeinte Front des österreichischen Volkes hatte Hitler seine Kanonen, seine Tanks und Flugzeuge eingesetzt.
Volk von Österreich! Wehre Dich, leiste Widerstand den fremden Eindringlingen und ihren Agenten. Schließt Euch zusammen, Katholiken und Sozialisten, Arbeiter und Bauern! Schließt Euch zusammen, nun erst recht, zur Front aller Österreicher. Alle Unterschiede der Weltanschauung, alle Parteiunterschiede treten zurück vor der heiligen Aufgabe, die heute dem österreichischen Volke gestellt ist! Zusammenstehen gegen Hitler, zusammenstehen, um Hitlers Soldateska aus Österreich wieder hinauszujagen!
Arbeiter, bleibt fest! Seid einig und bleibt treu den stolzen Traditionen der österreichischen Arbeiterklasse. Laßt Euch nicht beugen, trotzt dem Terror! Macht die Betriebe zu Zentren des Widerstandes! Laßt Euch den Gewerkschaftsbund nicht zerstören!
Soldaten, Offiziere, Angehörige der Exekutive, die Ihr der österreichischen Heimat die Treue haltet, schließt Euch zusammen mit dem Volk, reiht Euch ein in die Front des erbitterten Widerstandes gegen Hitler und seine Agenten!
Volk von Österreich! Wehre Dich! Mach die Losung zur Tat: Rot-Weiß-Rot bis in den Tod!
Mögen es die deutschen Faschisten wissen, möge es die ganze zivilisierte Welt hören: das österreichische Volk wird nie und nimmer diese Fremdherrschaft, aufgerichtet unter den Bajonetten und dem Terror, anerkennen. Das österreichische Volk steht mit tödlichem Haß den faschistischen Tyrannen gegenüber.
Mögen auch am 11. März die Hitlerschen Kanonen triumphiert haben. Am 11. März hat der letzte Befreiungskampf des österreichischen Volks begonnen, und er wird enden mit der Abschüttelung der Diktatur der Bajonette Hitlers.
Völker Europas! Völker der Welt! Hört die Stimme Österreichs! Hört die Stimme eines Volks, das seine Freiheit und Unabhängigkeit über alles liebt, eines Volks, dessen Kultur die ganze Welt liebt und das niemandem feind ist. Hört seine Stimme und helft, helft, helft!
Duldet nicht, daß dieses Volk seiner Selbständigkeit, seiner herrlichen Kultur und seiner Freiheit beraubt wird! Es geht nicht nur um den Bestand dieses Landes, nicht nur um den Frieden an der Donau, sondern um den Frieden Europas. Es geht um die braunen Piraten und Kriegsbrandstifter, die morgen ebenso gegen ein anderes Volk losschlagen.
Lernt aus dem Beispiel Österreichs. Jedes Zurückweichen, jede Kapitulation vor den Kriegsbrandstiftern ermuntert den Hitler-Faschismus zu neuen Angriffen. Hitler will keinen Frieden, er läßt seine Bajonette marschieren. Hitler haßt die Front der friedlichen Völker, er will über die Völker herrschen.
Völker Europas! Lernt endlich am Beispiel Österreichs! Erkennt, daß die Stärke Hitlers nur in der Unentschlossenheit der westlichen Demokratien und der Kräfte des Friedens liegt. Leistet Solidarität und aktive Hilfe dem österreichischen Volk, das heldenhaft kämpft gegen eine militärische Übermacht. Laßt dieses Volk nicht untergehen. Die Politik faschistischer Barbarei darf in Europa nicht triumphieren.
Das österreichische Volk ist vergewaltigt worden, aber sein Glaube und seine Zuversicht sind ungebrochen. Der Kampf geht weiter. Durch seine eigene Kraft und durch die Hilfe der Weltfront des Friedens wird ein freies, unabhängiges Österreich wiedererstehen.
Text aus: der neue Mahnruf 1/2018
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